Montag, 3. November 2008

Der Antimobbingnewsletter 11

Für eine Arbeitswelt ohne Schikane, Diskriminierung
und Belästigung (Mobbing)!
Gerichtstermine...Recht und Gerechtigkeit....AGG.....Zukunft der Würde des Menschen..????
Bemühe dich nicht, alles wissen zu wollen, sonst lernst du nichts. Euripides
Anmerkungen von RA Dr. Thomas Etzel zum 2. Mobbing-Urteil des LAG Thüringen vom 15.02.2001,
Az 5 Sa 102/2000, abgedruckt in Arbeit und Recht, Heft 6, 2002, S. 230 ff)

Das Thema Mobbing wird seit Jahren in der Öffentlichkeit, Medizin und Literatur diskutiert. Insbesondere dann, wenn sich ein Arbeitnehmer oder Beamter aufgrund der Umstände am Arbeitsplatz namentlich durch Psychoterror, das Leben nimmt, wie z.B. die Polizeibeamtin Silvia Braun (OLG München, Az: 1 U 2443/01, Stern Heft 39/2000, S. 84 ff), gerät die Thematik in das Zentrum von Schlagzeilen und des öffentlichen Interesses.

Nur die Rechtsprechung stand dem erschreckenden Phänomen des Psychoterrors am Arbeitsplatz bisher zurückhaltend, hilflos bis ablehnend gegenüber. Bis zu den maßgeblichen Entscheidungen des LAG Thüringen tat sich die Arbeitsrechtsprechung recht schwer mit dem Phänomen des Mobbings. Dieser Umgangsschwierigkeit korrespondierte eine entsprechende Beweisanforderung, die die Opfer kaum erfüllen konnten. Naturgemäß geben die Täter das Mobbing nicht zu und die anderen Mitarbeiter haben naturgemäß im Rahmen gruppendynamischen Verhaltens nichts gesehen oder gehört.

Angesichts dieser für die Opfer unerträglichen Rechtspraxis stellte bereits die erste Entscheidung des LAG Thüringen vom 10.04.2001, Az: 5 Sa 403/2000, ArbuR, 2001, S. 274 ff, einen Meilenstein und entscheidende Durchbruch der Rechtsprechung zur Thematik Psychoterror am Arbeitsplatz dar. Die 2. Entscheidung setzt diesen Durchbruch in beeindruckender Weise fort.

Bereits die Ziffer 1. der Leitsätze hebt in eindringlicher Weise die Pflicht des Staates hervor, sein humanes Wertesystem effizient gegen Psychoterror am Arbeitsplatz zu schützen. In Konsequenz werden die Arbeitgeber in die Pflicht genommen, diesen grundgesetzlichen Anspruch auf Schutz vor Mobbing umzusetzen.

Zutreffend erkennt das LAG Thüringen, dass Mobbing dem Arbeitgeber schadet und auch aus diesem Grunde Mitarbeiter wechselseitig verpflichtet sind, ihre Persönlichkeitsrechte zu achten. Angesichts der Schwere der Rechtsverletzung durch Psychoterror für die Opfer und die Arbeitgeber ist es nicht nur konsequent, sondern geboten, in Mobbing einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund zu sehen, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt, ohne dass vorher eine Abmahnung ausgesprochen werden muss, wobei in jedem Einzelfall die Besonderheiten, insbesondere Schwere und Dauer der Rechtsverletzung, zu würdigen sind.

Diese zwingende Konsequenz ist angesichts der Folgen des Mobbing für Opfer und Arbeitgeber die richtige Antwort der Rechtsprechung auf diese Geisel der Arbeitswelt. Fakt ist, dass es in Deutschland ca. 1,5 Millionen Mobbingopfer gibt und weitere ca. 15 Millionen Arbeitnehmer mehr oder weniger häufig aufgrund der Situation am Arbeitsplatz krank werden (vgl. Etzel, Versicherungswirtschaft, Heft 6/1995, S. 356 ff; Etzel, Gablers Magazin, Heft 4/94, S. 39ff und Heft 10/94, S. 43 ff; Etzel, Gablers Magazin, Heft 6-7/96, S. 34 ff).

Die Folgen des Psychoterrors am Arbeitsplatz sind für die Opfer einschneidend. Zwar existieren keine offiziellen Zahlen über die Suizide durch Mobbing, aber in Fachkreisen werden Zahlen aus dem Ausland auch für Deutschland relevant erachtet und mit ca. 15 bis 20 % beziffert. Dies ist eine Größenordnung von ca. 2.000 Toten pro Jahr in Deutschland. Diese erschreckende Quote sollte sich jeder, der mit dem Thema Mobbing zu tun hat, vor Augen halten.

Es geht nicht nur um die Gesundheit der Betroffenen, sondern um deren Leben. Jeder Suizid ist einer zuviel. Daher muss alles Menschenmögliche unternommen werden, um die Suizidquote aufgrund von psychischer Folter am Arbeitsplatz drastisch zu reduzieren und im Idealfall auf Null zu drücken.

Die nachfolgende Mobbing-Definition ist überzeugend und lässt sich in der Praxis sehr gut anwenden:

„Definition: Mobbing ist eine Methode des Psychoterrors und der Psychofolter, die geeignet ist, die Psyche des Opfers erheblich zu verletzen und hierdurch schwere Krankheitsbilder, insbesondere reaktive Depressionen, posttraumatische Belastungsreaktionen sowie psychosomatische Symptomenkomplexe hervorzurufen und das Opfer bis in den Suizid zu treiben. Dabei können sowohl kurzzeitige als auch über Monate währende Zeiträume Mobbing darstellen und diese Krankheitsbilder auslösen. Mobbing erfüllt somit den Tatbestand der Folter und unangemessenen Behandlung im Sinne von Art. 3 MRK.“
(Resolution Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten e.V.)

Auch die STASI hat sich wissenschaftlich profund mit Methoden des Psychoterrors beschäftigt und diese Methoden eingesetzt. Bezeichnend ist, dass die von der STASI perfide entwickelten psychoterroristischen Methoden in vielen Punkten mit den gängigen Mobbing-Methoden übereinstimmen. Somit setzen die Psychoterroristen quasi „Waffen aus dem Arsenal der ehemaligen STASI“ ein – und dies am Arbeitsplatz als Schauplatz zeitgemäßer , hinterhältiger Partisanenkriegsführung.

Aus diesen Gründen kommt es, wie das LAG Thüringen wiederum zutreffend ausführt, zur Feststellung des Psychoterrors nicht darauf an, dass psychoterroristische Handlungen über eine bestimmte Mindestlaufzeit oder wöchentlichen Frequenz stattfinden müssen. Vielmehr muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob bei Würdigung aller Umstände krankmachende Strukturen und/oder Verhaltensweisen in Form von Psychoterror vorliegen. Hierzu hat das LAG Thüringen bereits in seiner ersten Mobbing-Entscheidung Beweiserleichterungen für die Opfer begründet. Hiernach hat das jeweilige Gericht im Rahmen eines fairen Verfahrens und der naturgemäßen Beweisnot des Betroffenen, diesen persönlich zu hören und dessen Anhörung im Rahmen von Art. 6 EMRK, §§ 286, 448, 141 Abs. 1, Satz 1 ZPO zu würdigen. Diese Rechtsprechung findet ihre folgerichtige Fortsetzung in der zweiten Mobbing-Entscheidung, wonach das Vorliegen eines mobbingtypischen medizinischen Befundes erhebliche Auswirkungen auf die Beweislage haben kann. Zutreffend führt das LAG Thüringen weiter aus, dass bei bestehender Konnexität zwischen behaupteten Mobbing-Handlungen und festgestellten Krankheitssymptomen ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptungen vorliege. Weiterhin können im Umkehrschluss die festgestellten mobbingtypischen Krankheitssymptome Aufschluss für die Schwere des Mobbings geben.

Die hier aufgezeigte Lösungsmöglichkeit der Beweisnot für die Opfer ist als epochal zu bezeichnen.

Denn es kann von der Logik immer nur drei Möglichkeiten geben, wenn jemand behauptet, er werde gemobbt und hierfür einen Sachverhalt vorträgt:

1. Die Behauptungen stimmen
2. Der angeblich Betroffene ist ein Psychopath, der aufgrund psychotischer Erkrankung oder sonstiger psychischer Auffälligkeiten reale Vorgänge unzutreffend wertet.
3. Es handelt sich um einen Lügner.

Folglich ist es zunächst Aufgabe eines Rechtsanwaltes, der mit der Materie befasst wird, durch Einholung entsprechender ärztlicher, möglichst fachärztlicher Stellungnahmen abzuklären, ob der Mandant aus ärztlicher Sicht Wahrnehmungsdefizite oder sonstige psychischen Defizite hat, die die festgestellten Krankheitssymptome erklären können.

Lügner entwickeln regelmäßig keine Krankheitssymptome, es sei denn, dass eine psychische Grunderkrankung vorliegt. Folglich geht es im Regelfall darum, ob der Mandant tatsächlich psychische Verletzungsfolgen, meist in Form von psychosomatischen Symptomenkomplexen und/oder reaktiver Depression und/oder posttraumatischer Belastungsreaktion, davongetragen hat oder aufgrund personenimmanenter Psychosen glaubt, gemobbt zu werden.

Kann der Mandant nachweisen, dass die festgestellten psychischen Verletzungsfolgen durch die von ihm geschilderte Situation am Arbeitsplatz entstanden sind und andere Ursachen ausscheiden, so besteht nach der zutreffenden Rechtsprechung des LAG Thüringen eine tatsächliche Vermutung, dass die Behauptungen des Opfers zutreffend sind. Diese Behauptung kann vom Arbeitgeber und/oder den Tätern widerlegt werden, was im Ergebnis einer Beweislastumkehr gleichkommt.

Wenn das Opfer einen Sachverhalt vorträgt, der krankmachende Strukturen und/oder Verhaltensweisen am Arbeitsplatz beinhaltet und ärztlich eine Konnexität zwischen diesen Behauptungen und den festgestellten Krankheitssymptomen festgestellt sind, dann muss der Arbeitgeber und/oder Täter beweisen, dass die Behauptungen des Opfers unzutreffend sind. Den ärztlichen Stellungnahmen kommt daher rechtlich ein hoher Stellenwert zu. Dies lässt sich auch damit unterstreichen, dass Ärzte sich in strafrechtlich relevante Bereiche begeben, wenn sie falsche Atteste ausstellen.

Bei der Vernehmung darf sich das Opfer auf etwaige tagebuchartige Aufzeichnungen seiner Leidensgeschichte berufen, wobei ein besonders strenger Maßstab bei der Würdigung anzulegen ist, um eine etwaige Aussagekosmetik aufzudecken.
Dies bedeutet, dass der jeweilige Tatrichter bei Mobbing-Konstellationen in besonderer Weise die Freiheit seiner Beweiswürdigung ausschöpfen darf und auch muss. Hierzu kann es erforderlich sein, Mobbing-Gutachten einzuholen, um festzustellen, ob der Betreffende ein echtes Opfer, Lügner oder Psychopath ist.

Das vorliegende Urteil demonstriert in eindringlicher Weise, dass die bestehende Rechtslage ausreicht, um das Thema Mobbing arbeitsgerichtlich zu bearbeiten. Der in den früheren Jahren von Gerichten verwendete Vorwurf, Mobbing sei mit den vorhandenen gesetzlichen Grundlagen nicht nachweisbar, ist mit den beiden Entscheidungen des LAG Thüringen eindrucksvoll widerlegt.

Auf der Linie dieser Entscheidungen liegt eine Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz. Az: 6 Sa 415/2001, in der einem Mobbing-Opfer DM 15.000,00 Schmerzensgeld zugesprochen wurde. Die Frage eines angemessenen Schmerzensgeldes wird die nächste Frage sein, mit der sich die Arbeitsgerichte zu beschäftigen haben. Nach Überzeugung des Verfassers muss das Opfer in besonders schweren Fällen, insbesondere wenn der Psychoterror zum Suizid oder Suizidversuch geführt hat oder der Psychoterror über einen sehr langen Zeitraum gedauert und zu schwerwiegenden Krankheitsbildern geführt hat, auch mindestens DM 100.000,00 an Schmerzensgeld zu beanspruchen haben.

Könnte der Arbeitgeber trotz der Schwere des Mobbing als Arbeitspflichtverletzung nicht trotzdem einen Täter erst abmahnen müssen? Eine Abmahnung des Täters könnte dann erforderlich sein, wenn der Arbeitgeber z.B. durch organisatorische Fehler einen besonderen psychosozialen Streß erzeugen, der die Täter gerade erst ermutigt, Psychoterror auszuüben.

Dies könnte der Fall sein, wenn der Arbeitgeber eine geschäftspolitische Entscheidung zum Personalabbau trifft und Führungskräfte anspornt, sich etwas einfallen zu lassen, um Mitarbeiter zu entsorgen. Angesichts der Tatsache, dass Mobbing und seine Folgen bekannt sind und schwere psychosomatische Krankheitsfolgen bis hin zum Suizid als typische Mobbing-Folgen gelten, trifft den Arbeitgeber die besondere Fürsorgepflicht gegenüber allen Mitarbeitern, Mobbing zu verhindern.

Schafft also die Geschäftsleitung eines Arbeitgebers krankmachende Strukturen, die den Boden des Mobbing bereitet haben, dann ist auch der Arbeitgeber bzw. die jeweils handelnden Mitglieder der Geschäftsleitung Mittäter oder sonstige Beteiligte im Sinne der §§ 830 BGB sind, stellt sich die Frage, ob aus Sicht des Arbeitgebers überhaupt eine Pflichtverletzung vorliegt. Denn ein Arbeitgeber könnte Mobbing aus geschäftspolitischen Erwägungen fahrlässig begünstigen, vorsätzlich fördern oder sogar von den unmittelbaren Tätern konkret verlangen.

In all diesen Fällen stellt sich die Frage, ob ein solcher Täter Arbeitspflichten verletzt und dafür gekündigt werden kann. Bei Beantwortung dieser Frage ist jedoch zu berücksichtigen, dass jeder Mitarbeiter einen Anspruch darauf hat, dass seine Rechte am Arbeitsplatz geschützt werden. Handelt es sich beim Arbeitgeber um eine juristische Person, so handelt diese über ihre Organe, die jeweils natürliche Personen sind. Natürliche Personen sind jedoch wiederum persönlich gemäß §§ 823 ff BGB. Da es jedoch im Hinblick auf unsere im Urteil genannten Grundrechte keinen Gesellschaftsvertrag geben kann, der Mobbing toleriert, verstößt jeder, der sich wie auch immer an Mobbing beteiligt, gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten.

Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer, die andere im Auftrag oder mit Duldung der jeweiligen Geschäftsleitung mobben, gegen ihren Arbeitsvertrag, den sie mit dem Arbeitgeber und nicht mit der Geschäftsleitung haben, verstoßen. Übt ein Mitarbeiter jedoch im Auftrag der Geschäftsleitung oder überhaupt von Vorgesetzten Mobbing aus, so liegt hierin zwar ein eklatanter Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten des Täters auf Kollegialität zu den übrigen Mitarbeitern sowie der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, aber bei Weisung zum Mobbing durch Führungskräfte muss der Druck, der auf dem Täter lastet, berücksichtigt werden, so dass der Täter bei dieser Konstellation nur ausnahmsweise gekündigt werden kann.

Regelmäßig wird bei Mobbern, die auf Weisung von Führungskräften gehandelt haben, zunächst eine Abmahnung erforderlich sein. Einen Kündigungsgrund liefern jedoch Führungskräfte, die zum Mobbing auffordern. In solchen Fällen verletzt auch die Geschäftsleitung ihre Arbeitspflichten, so dass der Aufsichtsrat oder die Gesellschafterversammlung Organe des Arbeitgebers, die sich schuldhaft an Mobbing beteiligen bzw. hierzu auffordern, ebenfalls fristlos entlassen kann und auch sollte.

Ist Arbeitgeber eine natürliche Person bzw. eine Personengesellschaft, so liegt bei Personengesellschaften eine erhebliche Verletzung des Gesellschaftsvertrages durch mobbende Gesellschafter vor. Allerdings trifft den Arbeitgeber im Innenverhältnis gegenüber dem Opfer eine deutlich höhere Haftungsquote, weil das Ausnützen der wirtschaftlichen Abhängigkeit des mobbenden Täters als deutlich schwerwiegender gilt als das Verhalten des Täters selbst. Allerdings hängt bei derartigen Konstellationen die endgültige Würdigung von den Umständen des Einzelfalles ab.

Der Mobber = Psychoterrorist hat ein Fehlverhalten der Organe des Arbeitgebers vorzutragen und ggf. zu beweisen.

Die hier gegenständliche Entscheidung des LAG Thüringen hat zu einem Durchbruch in der Rechtsprechung geführt und damit die Voraussetzungen geschaffen, das Phänomen des Psychoterrors am Arbeitsplatz künftig effizient auf der Grundlage der vorhandenen Gesetze und Rechtsprechung zu behandeln.

Damit sind die ersten und entscheidenden Weichenstellungen erfolgt, denen sich hoffentlich die Rechtssprechung insgesamt anschließt. Die weiteren Fragestellungen, die sich im Laufe der Zeit bei dieser komplexen Materie ergeben, können auf der Basis der beiden Entscheidungen des LAG Thüringen sinnvoll gelöst werden.

Dr. Thomas Etzel, Rechtsanwalt
Tipp: wiki.mobbing-gegner.de

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